Programm
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In Fortsetzung der Bemühungen, wichtige Aspekte der globalen Umgestaltungen, die gegenwärtig in alle Lebensbereiche der Gesellschaft hineinwirken, besser zu verstehen und diesen bewusst und aktiv zu begegnen, fokussiert das 6. Kolloquium die Frage nach dem Zusammenhang von Religion (insbesondere Monotheismus), Macht und Gewalt.

Gewalt – in den Schulen, auf den Straßen, in den Medien, in der politischen Auseinandersetzung – beunruhigt die Gesellschaft zunehmend. Die aktuelle Bedrohung durch religiös legitimierten Terror verdeutlicht einerseits ein Handicap der säkularen Gesellschaft: die Unfähigkeit, Religion, Spiritualität, Transzendenz im weitesten Sinne, in ihrem Kontext zu verorten und diese Bezüge mit einer instrumentellen Rationalität zu vermitteln, während solche Erfahrungen gegenwärtig überraschend vielgestaltig und mit überwältigender Kraft „wiederkehren“ und sich Gehör verschaffen – eine Quelle von Gewalt. Andererseits bleibt in selbstkritischer Reflexion der traditionellen Religionen zu ermitteln, welche Gewalt-Dispositionen sie selbst – und dies bereits theoretisch, in ihrem Gottesverständnis – in das innerseelische wie das externe Macht-Gewalt-Verhältnis hineintragen und dort aufrechterhalten wie legitimieren.

Die Beiträge des Kolloquiums fragen, wie religiöse und säkulare Friedens- und Versöhnungsfähigkeit als zentrale ethische Dimensionen in der heutigen Gesellschaft geltend gemacht werden können. (B.V.)

Prof. Dr. Dr. Eberhard Simons
Der Monotheismus der Neuzeit, ein besonderer Hoheitsbegriff der Religionen des Judentums, des Islam und des Christentums, ist heute überraschend in die Diskussion gekommen. Der Beitrag, der den Monotheismus besonders unter dem Thema Gewalt zur Sprache bringt, meint nicht nur physische Gewalt, sondern monokratische Einheitszwänge und konflikthafte Zwangsvereinheitlichungen. Er weist darauf hin, dass das Christentum kein Monoheismus ist. Ein monotheistisch missverstandenes Christentum ist ein römisch und jüdisch überlagertes Christentum und erschwert eine Ökumene zwischen den drei Religionen erheblich.


Dr. Elke Wachendorff :
Friedrich Nietzsches viel umstrittener Begriff vom „Willen zur Macht“ ist nicht eo ipso in eins zu setzen mit einer undifferenzierten Verherrlichung von Gewalt und Brutalität einer optimal gemendelten „Blonden Bestie“. Dies ist nur eine der gedachten Deutungen, nur eine jener Medaillenseiten, von denen es bei Nietzsche bekanntlich stets zweierlei aufzuweisen gibt. Die Spur der letzteren soll aufgenommen werden, um zur Frage nach jener sie verbindenden Münze zu gelangen: so wird auch jene erste Seite in einem neuen klärenden Licht erscheinen, die Fruchtbarkeit der Nietzscheschen Gedanken auch für unsere heutigen Fragen erhellt werden können.


Prof. Dr. Dr. Manfred Görg:
Auf der Suche nach den Wurzeln der Entfremdungen und Ausgrenzungen in den Gesellschaften der Gegenwart gerät auch die jüdisch-christliche Tradition des sog. Abendlandes sowie der Islam ins kritische Blickfeld. Dichtung und Denken verweisen auf eine latente Gewalttendenz des radikalen Eingottglaubens. Man spricht hier von einer mosaischen Unterscheidung (Jan Assmann) zwischen „wahr“ und „falsch“. Gehört der Monotheismus an den Pranger der Postmoderne und gibt es alternative Modelle?


Prof. Dr. Ram Adhar Mall:
Wenn die Einsicht Freuds, dass die eigentlichen Gewaltquellen tiefer liegen und die Aggression die Unterschiede von Macht und Einfluss für ihre Absichten miss-braucht, zutrifft, so können beide: Religion und Gewalt, einander wechselseitig instrumentalisieren. Der Beitrag sucht die Hintergründe praktischer Gewalt und Intoleranz im Tatbestand der „theoretischen Gewalt“ näher zu erfassen: Wo einer seine eigene intellektuelle, philosophische und religiöse Ansicht für die einzig richtige hält, ist die ethisch-moralische, sozial-politische und religiös-kulturelle Gewalt eine logische Konsequenz.


Die KOLLOQUIEN des Nietzsche-Forums München möchten, mit Nietzsche denkend, einen sorgfältigen Diskurs zu Fragen von grundlegender Relevanz für die gesellschaftliche Entwicklung der Gegenwart pflegen und zu diesen Fragen eine intensive Kommunikation in Gang setzen.



Eberhard Simons: Geb. 1937. Professor für Philosophie an der LMU München. Studium der Philosophie, Ökonomie, Kunst- und Kultur-eschichte in München, Freiburg, Innsbruck, Frankreich, Italien, Griechenland. Dozenturen an der RWTH Aachen, an den Universitäten Münster, Witten-Herdecke, der Humbold-Universität Berlin. Gründung der „Stiftung Lebensökonomie“. Forschungsschwerpunkt: Renaissancen einer europäischen Kosmopolitie auf der Basis einer neuen Vernunftkonzeption.


Elke Wachendorff: geb. in München; Dr. phil.; Freischaffende Autorin. Pharmazeutische Approbation; Studium der Geschichte der Naturwissenschaften, der Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Philosophie in München. Zahlreiche Publikationen zur Nietzsche-Forschung (u.a. „Friedrich Nietzsches Strategien der ‘Noth-Wendigkeit’“);. Kuratorin der Stiftung „Vergessene Kulturgüter“ SVK; Ausstellungen in Pforzheim u. Tokio; Ausstellungen eigener plastischer Werke.


Manfred Görg: geb. 1938, Professor für Alttestamentliche Theologie und Ägyptologie in München; Kath. Theologie u. Ägyptologie in Bonn, Würzburg und Paderborn; Dozenturen in Bonn, Bamberg, Berlin. Vorstand des Instituts für Biblische Exegese, Begründer und Vorsitzender der „Gesellschaft der Freunde Abrahams e.V.“; 2. Vorsitzender des Deutschen Palästina-Vereins. Umfangreiche Forschungsarbeiten und Publikationen. Schwerpunkt: Abrahamitische Spiritualität und Ökumene.


Ram Adhar Mall: geb. 1937 in Indien. Professor für interkulturelle Philosophie an der LMU München. Studium der Anglistik und Sanskrit in Kalkutta, Göttingen und Köln, Lehrtätigkeit in Kalkutta, Trier, Heidelberg und Wien. Begründer der „Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie e.V.“ Umfangreiche Publikationen zu Philosophie, vergleichender Philosophie u. Religionswissenschaft, zu Hinduismus u. Buddhismus. Forschungsschwerpunkt und Anliegen ist ihm eine interkulturelle Philosophie als neue Orientierung